Zimmer mit (schönerer) Aussicht

BildaufhängungDas war es, was Heidi Reinhold sich seit vielen Jahren wünschte. „Schon zu D-Mark-Zeiten hätte ich diese triste Hauswand gegenüber von meinem Wohnzimmerfenster gern verschönert“, so die heute 83-Jährige. 500 Mark wollte sie seinerzeit dafür investieren. Damals gehörte das Häuser-Karree entlang der Dortmunder Schlosser-, Dürener und Dreherstraße noch Wohnbau Westfalen. Frau Reinhold schlug ihre kreative Investition vor, aber irgendwie versandete sie in den Mühlen der Verwaltung.

Als das Ruhrgebiet 2010 zum Kulturhauptstadtjahr läutete, zogen auf einen Schlag 30 neue Nachbarn ein. Sie waren Teilnehmer des Konzeptkunstwerks „2-3 Straßen“ von Jochen Gerz. Eine davon war Bettina Knierim: „Angefangen hatte alles schon im Januar, als ich sozusagen kaum den ersten Fuß in die Wohnungstür gesetzt hatte.“ Die junge Frau lacht. „Meine seinerzeit direkte Nachbarin ist mit Frau Reinhold befreundet und so lernte ich diese recht zügig kennen. Und kaum saßen wir für ein Nachbarspläuschchen zusammen, erzählte sie mir von ihrem Traum, den sie schon sehr lange hatte, eben dem besagtem Bild …“

Da Bettina Knierim ihrer Mutter den gleichen Wunsch erfüllt hatte und daher wusste, wie man ein Landschaftsmotiv auf eine Hauswand überträgt, versprach sie Frau Reinhold, sich darum zu kümmern und richtete eine Anfrage an Evonik. Sie schilderte, wie sie das Bild anfertigen würde und bat um eine Genehmigung. Unglücklicherweise mahlten auch hier die Verwaltungsmühlen zu lange … Ende März 2010 musste Bettina Knierim der Familie ihres Lebenspartners wegen nach Sardinien ziehen, und so blieb die Hauswand blank.

Vorerst. Im obersten Stockwerk des gleichen Hauses, in dem Heidi Reinhold wohnt, lebten seit Januar auch Barbara und Peter Krüger, ein Rentnerpärchen aus Gütersloh. Sie waren die ältesten „2-3 Straßen“-Teilnehmer und brachten so auch jede Menge beruflicher, sozialer und sogar künstlerischer Vorerfahrung mit. Peter Krüger, von Berufs wegen eigentlich Werkzeugmacher und Betriebsratsvorsitzender bei Miele, malt „hobbymäßig“ seit den 70ern, hat sich „bei einem Galeristen Tricks beibringen lassen, viel mit Linolschnitt gearbeitet“ und über die Jahre einen eigenen kubistisch geprägten Stil entwickelt.

Es blieb nicht aus, dass Peter und Barbara im Innenhof die Bekanntschaft von Heidi machten. Das im Parterre gelegene Wohnzimmer der Rentnerin blickt nämlich nicht nur zur Seitenwand des über Eck angrenzenden Hauses, sondern flankiert davor einen asphaltierten Bereich, der mit Blumenpötten und Gartenmöbeln von den Anwohnern liebevoll zum Treffpunkt gestaltet wurde. Von ihrem Fenster aus kann Heidi direkt auf den mit einem Wachstuch geschützten Kaffeetisch hinunter gucken. Die Lage ist natürlich auch als Durchreiche für Trink- und Essbares prädestiniert – ein vortrefflicher Aussichtspunkt allemal. Heidi Reinhold ist es daher auch zu verdanken, dass die Mülltrennung in diesem Karree so gut wie sonst wohl nirgends am Borsigplatz funktioniert.

Vom Kunst-Wunsch der alten Dame wusste Peter Krüger schon durchs Fernsehen. Für eine Sendung zur Kulturhauptstadt interviewt, hatte Frau Reinhold gleich die Gelegenheit genutzt, um ihre Idee von einem Wandbild öffentlich zu machen: „Vielleicht das Bild einer Alten, die mit ihrer Katze am Fenster sitzt“, schlug sie damals vor. – „Immer, wenn wir im Hof geprokelt haben, kam sie darauf zu sprechen“, erinnert sich Peter Krüger lachend, und irgendwann hatte Heidi ihn so weit. „Ich mach was“, sagte er. „Und kosten tut das nichts.“

Da auch andere Mieter direkt auf die besagte Wand gucken, schlug Peter vor, gemeinsam über das Bildmotiv abzustimmen. Er sammelte an die 30 Vorlagen – von der Frau am Fenster bis zum Toskanabild – und lud im Juli 2010 zu Diaabend und Abstimmung in den Innenhof. Die kahle Wand entpuppte sich als gute Projektionsfläche … Am Ende fiel das Los auf eine Gruppe großer bunter Fische, die dem Beton beinahe den Anblick eines Aquariums verliehen.

Peter Krüger zeigte das ausgewählte Motiv Wohnungseigner Evonik und schlug vor, nicht direkt das Mauerwerk zu bemalen, sondern vier Metalltafeln. Auf diese Weise könne die Illustration ebenerdig und auf glatter Fläche erstellt, an der Wand montiert und bei Bedarf leicht entfernt werden. Durch seine frühere Arbeit im Betriebsrat hatte Peter noch Kontakt zur Lehrwerkstatt von Thyssen Krupp. Auf ihrem Werksgelände am Ende der nahe gelegenen Oesterholzstraße war vor Kurzem eine Mauer in dieser Weise umgestaltet worden. 13 verzinkte Stahlbleche hatten mehrere Künstler beklebt, bemalt und angebracht. Von den Blechen waren noch einige übrig. Michael Goralski, Leiter des Kruppschen Technikzentrum, sorgte dafür, dass Peter die restlichen Platten geschenkt erhielt.

Und so kamen die metallenen Malunterlagen erst einmal nach Gütersloh, Heimatstadt des Ehepaars Krüger. Inzwischen war nämlich ein halbes Jahr ins Land gestrichen, 2010 war um, das Kulturhauptstadtjahr vorbei, und mit ihm „2-3 Straßen“, bei dem Peter und Barbara Teilnehmer gewesen waren. Die geplante Machart des Wandbildes hatte Evonik zwischenzeitlich freigegeben, aber als Motiv bevorzugte der Vermieter etwas, das mehr Bezüge zum Quartier aufwies. Was lag da näher als der Borsigplatz? Peter hatte den großteils von schönen Altbauten umstandenen Kreisverkehr während des vergangenen Jahres mehrmals auf Grafiken und Linolschnitte gebannt. Der Platz ist vor allem wegen des in unmittelbarer Nähe gegründeten Fußballvereins Borussia Dortmund berühmt. Das Vereinskürzel BVB, eigentlich „Ballspielverein Borussia“, wird hier gerne auch als „Borussia vom Borsigplatz“ verstanden.

Zuhause in seiner Werkstatt skizzierte Peter Krüger den Borsigplatz zunächst auf Papier. In den Mittelpunkt stellte er den der Jahrhundertwende entstammenden Altbau mit Glockenturm, die ehemalige Gaststätte Concordia. Barbara Krüger fungierte als „Formenratgeberin“. In ihrer Zusammenarbeit entstand eine stilisierte Version des Borsigplatz, die aus geometrischen Formen zusammengesetzt ist und ohne die trennenden Straßen auskommt: Alle Häuser schmiegen sich so fest sie können aneinander, über ihnen der wieder blau gewordene Himmel, zu ihren Füßen die Farben des siebenfachen Deutschen Meisters: Gelb und Schwarz.

Peter übertrug alles mit einer Farbrolle auf die vier Stahlbleche, versiegelte das Bild mit Klarlack und brachte seine Einzelteile zurück nach Dortmund. Ende September 2011 war es endlich soweit: Mit vereinten Kräften wurden die stählernen Bildwerke an der „tristen Hauswand“ gegenüber Heidi Reinholds Wohnzimmerfester aufgehängt. Vier Mann halfen mit drei Leitern, Bohrmaschine und Schrauben, eine Halterung im Mauerwerk und daran die vier Platten zu befestigen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Nicht nur die Nachbarn, auch zwei Damen von Evonik kamen, um die verschönerte Aussicht zu feiern.

Heidi freut sich. Endlich ist ihr Wunsch in Erfüllung gegangen. Am liebsten möchte sie aber zusätzlich noch die Toreinfahrt illustrieren lassen: „Auf der linken Wand ein Fußballspieler und auf der rechten ein Tor.“ Für die Verwirklichung ihrer Idee hat sie sogar schon „einen Kontaktmann im Haus der Jugend aufgetan“ …

Isabelle Reiff

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